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die bremer stadtmusikanten (interpretation): eine geschichte vom altern und vom emanzipieren.

DER FOLGENDE TEXT WURDE IM RAHMEN DER PERSPEKTIVENGRUPPE ALTERN IM AMERLINGHAUS (AKTIVES ZENTRUM) PRÄSENTIERT UND SEHR INTERESSIERT DISKUTIERT.

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1.teil: verlust der arbeit.

 

Die Tiere der Geschichte werden als arbeitsobjekte verdinglicht. Nicht sie sind wichtig, sondern ihr arbeitsertrag. Dies macht den entfremdungszusammenhang aus, in dem zu leben sie gezwungen sind.

Ab dem zeitpunkt, ab dem sie altersbedingt die arbeitsleistung nicht mehr erbringen die von ihnen erwartet wird, werden sie ausgestoßen; aus dem futter genommen. Hund und katze werden sogar mit der ermordung bedroht (erschlagen und ersäufen). Beim hahn reicht schon die absicht für die suppeneinlage vorgesehen zu sein für das kopfabschneiden. Die reaktionen auf die existentielle bedrohung fällt unterschiedlich aus.

Der esel verlässt seine arbeitsstätte und plant einen berufswechsel (eine art umschulung). Er will zu den bremer stadtmusikanten (motto: stadtluft macht frei). Damit hätte er dann zwar eine altersgerechte arbeit, besser als säcke schleppen, aber es wäre nach wie vor lohnarbeit – also nicht selbstbestimmt.

Hund und katze flüchten zwar vor der ermordung, wissen daraufhin aber weder ein noch aus – es folgt eine depressive, orientierungslose phase. Würde diese phase länger anhalten, bestünde die gefahr von folgeerkrankungen aller art.

Der hahn schreit vor (vermutlich panischer) angst aus voller kehle. Besonders angst in diffuser form scheint grund als krankheitsaktivator. Wobei gerade beim übergang von erwerbsarbeit in die pension ängste stärker ins bewußtsein treten als sonst, weil verdrängungsmechanismen nicht mehr so gut funktionieren.

Die, auch gesundheitliche, unmittelbare lösung für die tiere liegt in der von esel vorgeschlagenen und in der folge kollektiv angenommenen perspektive: die arbeit als musikant_innen bei den bremer stadtmusikanten.

Wichtig ist, dass es zu einem kollektiven diskurs/hierarchiefreien dialog mit anschließender handlungsperspektive kommt: „Etwas besseres als den tod findest du überall.“

Es kommt zum exodus der tiere aus der (lohn)sklaverei, ähnlich dem exodus der israeliten aus Ägypten (negri). Da das unrecht nicht (unmittelbar) beseitigt werden kann, verlassen die tiere ihren bisherigen wirkungsort. Nicht umsturz, sondern auszug aus dem system. Die veränderung der depressiven gestimmtheit erfolgt also über eine positiv besetzte utopie.

 

2.teil: der weg nach bremen. Im wald: wandlungen.

 

Der gemeinsame beschluss nach bremen zu gehen um sich als stadtmusikanten zu versuchen, ändert die situation der 4 tiere bereits. Es wird bereits so etwas wie ein gemeinwesen sichtbar: gemeinsame beschlüsse werden getroffen, auf gemeinsame ziele wird fokussiert und gemeinsame aktivitäten werden angestoßen, die ihrerseits zu kollektiven lernprozessen führen.

Da sie aber nicht in einem tag nach bremen gelangen, müssen sie im wald unter einem baum übernachten. Hier macht es sich jede(r) nach den je eigenen bedürfnissen bequem, wobei der hahn auf die baumspitze fliegt und sich nach allen 4 himmelsrichtungen umsieht – also eine vielfalt an perspektiven in den blick nimmt. Hätte er nur in eine richtung geblickt (tunnelblick), hätte er vermutlich das räuberhaus nicht erblickt.

An dieser stelle sei eine kritik am klassischen (positivistischen) wissenschaftsblick angebracht, der von oben herab blickt (vogelperspektive) und solcherart vermeintlich alles sieht. Hier präveriert werden soll hingegen eine nichthierarchische Perspektive, die möglichst viele, auch unterschiedliche sichtweisen in die betrachtung hineinnimmt.

Der hahn sieht ein licht in der ferne und es wird beratschlagt, was das sein könnte und was zu tun wäre. Es wird beschlossen, dass eine gemütliche herberge und etwas essbares sehr gut tun würden und die tiere brechen zum haus auf.

Wichtig auch hier, der hierarchiefreie, auf gleichheit in der verschiedenheit angelegte dialog. Durch selbigen werden wissensprozesse angestoßen, die die tiere in solidarisches handeln übersetzen.

 

3.teil. Das haus im wald. Die expropriation der expropriateure.

 

Nachdem der esel als größter durchs fester des hauses gesehen hatte was drinnen vor sich geht, berichtet er den anderen: „da drinnen sind räuber, die lassen es sich bei reichlich kulinarien gut ergehen.“ Die da oben schlemmern, während die da unten darben. Gilt aktuell vermutlich (im globalen norden) nur im übertragenen sinn, weil heute viele angehörige der unteren klassen/schichten übergewichtig sind, viel zu viel junk-food essen und solcherart ihr leben verkürzen; bzw. weniger erträglich machen.

Die räuber sind die kapitalisten, die das haus sowie die angrenzenden ländereien mittels ursprünglicher akkumulation (also raub) an sich gerissen haben. Als historisches beispiel sei der systematische landraub an den englischen bauern im 17. jahrhundert genannt (siehe marx im kapital) oder die enteignung der almende (gemeinschaftsland) im ausgehenden mittelalter in mitteleuropa.

Die tiere beschließen mittels eines tricks sich des hauses zu bemächtigen und die enteigner zu enteignen. Dies also bereits als assoziierte individuen, als eine art der selbstregierung.

Sie stellen sich aufeinander, jede steht auf den schultern der anderen und so, größer aussehend als sie als einzelne sind (zusammen sind sie mehr als die summe der einzelnen), stürzen sie mit geschrei in den raum. Geschrei ist es jedenfalls für die räuber/kapitalisten (die da oben), denn für die haben die da unten nicht mal eine eigene oder überhaupt eine sprache – sie hören nur gestammel, geschrei.

Jedenfalls werden die räuber/kapitalisten in die flucht geschlagen und die tiere lassen es sich im haus gut ergehen – vermutlich das erste mal seit langem.

Nachdem sie sich satt gegessen haben löschen sie die lichter aus und legen sich schlafen, je nach ihren vorlieben. Hier auch: die befreiung der einzelnen als voraussetzung der befreiung aller (und umgekehrt), nicht aber die unterordnung unter einen allwissenden, unumgehbaren allgemeinwillen, der wissenschaft, dem göttlichen willen usw.

Trotz aller gleichheit und hierarchiefreiheit bleiben die unterschiede der tiere erhalten: der esel legt sich im hof zum mistplatz, der hund in die stube hinter die türe, die katze zum warmen herd und der hahn setzt sich auf den hahnenbalken. Durch die vielfalt der subjekte, die sich als solche ins kollektiv einbringen, können sie dem folgenden restauraurationsversuch widerstehen.

Der von den räubern ausgesandte kundschafter berichtet von seinen erlebnissen: im haus war eine hexe, die mir mit ihren langen fingernägel das gesicht zerkratzte und an der türe war ein mann, der mir mit einem messer in den fuß stach und im hof war ein großer kerl, der mit einem prügel auf mich einschlug und am dach saß der richter, der schrie, „bringt mir den schelm.“

 

Das haus steht für einen sozialen raum, ein gebiet, in dem die tiere über die geplante lohnarbeit bei den bremer stadtmusikanten (immer noch entfremdete arbeit) hinausgehen (können) und eine konkrete utopie verwirklichen, eine art solidarischer ökonomie, in der die tätigkeit (holloway) die arbeit ersetzt und die imperative der bestehenden produktionsweise ausser kraft setzt, die da sind: wettbewerbs,- und steigerungszwänge, reduktion der subjekte auf arbeitsobjekte, also auf warenwerte.

Die tiere wählen einen solidarischen umgang miteinander und in der folge mit der welt, sie nehmen ihre belange in die eigenen hände und konstituieren sich damit als handelnde subjekte: individuell wie kollektiv.