Im Hinblick auf das wichtige und gehypte Thema Generationenwohnen ein subjektiver Beitrag von Hedwig Presch
„Österreichs Top-Stadtentwicklungsgebiet mit internationaler Strahlkraft“ (Eigendefinition von aspern-seestadt, 1220 Wien) propagiert u.a. „Die Seestadt ist das, was wir gemeinsam daraus machen“.
So viel zur Partizipation. So viel zur Internationalität. So viel zur Entwicklungsfähigkeit. Oder doch mehr Imagepflege als Realität?
Angefreundet hab ich mich mit der Idee, in die Seestadt zu ziehen, als ich auf ein Projekt für gemeinsam wohnen von Alt und Jung aufmerksam wurde. 18 von 41 Wohnungen in dem Haus waren für Personen 50+ vorgesehen. Ich lernte interessante Frauen kennen, musste aber bald feststellen, dass ich mit der Baugrupppenphilosophie nicht übereinstimme. Umso mehr freute ich mich, als ich mit meinem Wohnticket eine günstige Kleinwohnung in diesem Haus ergatterte, eine der 17 Anbotswohnungen, die über das Wohnservice Wien vergeben wurden.
Es gibt unterschiedliche Zugänge zwischen Baugruppenmieter:innen und uns, die über Wiener Wohnen eingezogen sind, und wir nutzen das Haus auch verschieden.
Die Baugruppe hat gemeinsam einen „Salon“ mit Dachterrasse und eine Gäst:innenwohnung gemietet und finanziert dies gemeinsam. Ich persönlich bin froh, dass ich mir die Kosten für zusätzliche Gemeinschaftsflächen (60-70€ mtl.) erspare, denn es gibt eh einen großen „Flexraum“ und zwei weitere allgemein nutzbare Räume. Auch um die Gruppendynamik beneide ich keine Baugrupppe.
Während sich die Baugruppe über Jahre entwickelt hat, sind wir, die „Wiener-Wohnen-Mieter:innen“, natürlich sehr divers und nicht organisiert. Die Baugruppe ist im Haus entsprechend stärker präsent. Da kann schon schnell einmal die Idee von zwei Klassen aufkommen.
Ich finde es nach wie vor schön, dass hier nicht die jungen Kleinfamilien dominieren, sondern dass ich viele Peers sehe, dass einige aus beiden Klassen regelmäßig gemeinsam frühstücken und dass wir uns austauschen.
Wir haben die Wohnungen unmittelbar nach der Fertigstellung bezogen und es gab gleich einige Überraschungen: Türen, die ich als Arthritiserkrankte schwer öffnen kann, mechanisch zu betreibende Außenjalousien, die ich ganz gut runter, aber nur mit Tricks und Pausen raufkurbeln kann. Dass die Terrassen in den oberen Stockwerken und vom Baugruppensalon aus nur über 1 bis 2 Stufen erreicht werden können, betrifft mich zwar nicht, wundert aber doch: Generationenwohnen, das nicht annähernd barrierefrei geplant ist? Die meisten Mitbewohner:innen freuen sich, dass sie eh fit genug sind, aber Rollstuhlfahrende und Gehbeeinträchtigte kommen halt nicht auf ihre Dachterrasse…
Konzept und Projekt wurden übrigens mehrfach prämiert und sollen Teil der IBA (Internat. Bauausstellung 2022) sein – vorgestellt als „zukunftsorientiertes Wohnprojekt“ (https://www.iba-wien.at/projekte/projekt-detail/project/kolok-as)
Von einer Architektur, die nach zig Jahren Diskussion über „Design für alle“ noch nicht gelernt hat, halbwegs barrierefrei zu bauen, kann selbstverständlich keine erwarten, dass sie sich mit Umweltbedingungen herumschlägt. So schlägt halt der Wind in der Seestadt ungehindert zu. Der Effekt: nach ein paar Monaten war die Haustür ausgerissen und wir bekamen einen Bretterverschlag als Windfang vor der Tür – eine großartige Abwechslung in der sonst so durchgestylten Seestadt!
Weniger lustig sind die sonstigen Sparmaßnahmen der Träger. Wenn der Lift einmal am Wochenende ausfällt, ist das Pech für die Alten und Lasten Tragenden, die nicht mehr in den 7. Stock oder bis Montag gar nicht mehr aus der Wohnung rauskommen.
Pech auch, wenn eine glaubt, das Seestadtmanagement bräuchte zum „gemeinsam daraus machen“ Einschätzungen oder Wünsche der Bewohner:innen.
Uns fiel auf, dass es neben einem „Bioladen“ mit Schwerpunkt Wein und Fleisch nur zwei Konzern-Supermärkte gibt. Es wohnen hier viele Menschen mit Migrationsvordergrund und es gibt nicht einmal Fladenbrot zu kaufen. Wir überlegten, mit anderen Bewohner:innen zu reden und die Vorstellungen von alltagstauglichem Konsum zu bündeln. Diese Idee gelangte via „Stadtteilmanagement“ – so heißt hier das Nachbarschaftszentrum der Caritas – zur Stadtentwicklungsagentur 3420 und uns wurde mitgeteilt, dass 3420 eh schon eine Bewohner:innenbefragung plant. Wir wurden von 3420 eingeladen. Allerdings nicht zu einem Gespräch, sondern wir erfuhren, was genau geplant ist. Alles ist durchgeplant, was wo sein muss. Das sei alles anhand der aktuellen oder zu erwartenden Kaufkraft durchdacht. Die Stadtplaner von 3420 haben sich dazu Experten geholt – nämlich SES Spar European Shopping Centers. Gemeinsam freuen sie sich über die „einzigartige(!) gemanagte Einkaufsstraße“ und legen fest, was wir hier konsumieren sollen und welche Gastronomie wir uns leisten sollen. Ein „Wirtshaus“ hat hier so wenig Platz wie ein Greissler mit türkischen / arabischen / somalischen etc Spezialitäten, der hier Nischen-Supermarkt genannt würde. Wir lernen, solche Nischen darf es nicht geben, denn das gäbe die Kaufkraft der jetzt 9000 Bewohner:innen nicht her.
Und für später ist schon vorgesorgt mit mehr vom Gleichen – sprich Versorgung durch die vorherrschenden Konzerne.
Da wird eine fürsorgliche Konsumdecke über uns ausgebreitet – sie schützt uns vor Wettbüros und anderem unnützen Zeug. Aber halt auch weitgehend davor, unseren Konsum anhand unserer unterschiedlichen Lebensweisen zu bestimmen. Die Planwirtschaft schützt lt. Marktstrategen auch die vielen Kleinunternehmer:innen, die sich hier ansiedeln möchten, vor Pleiten.
Eine einzige Ausnahme wurde gemacht: Schwedenplatz-Eis darf am Ort der Produktion Eis verkaufen – an einem Platz, der nicht als der richtige Eisgeschäftsplatz ausgemacht wurde. Aber das bleibt die einzige Ausnahme, erklärt man uns. Ging übrigens nicht pleite.
Schwierig ist es auch, sich auf den Freiflächen vor Sonne zu schützen. Markisen und dgl. – solche „Sonderwünsche“ wurden vom Quartiersbeirat abgelehnt, „um den architektonischen Charakter des Projekts nicht zu verändern“. Soll heißen, Terrassen sind ev. nicht benutzbar, aber die Ästhetik bleibt? Hier findet ein langsames Umdenken statt; dem Wind und der viel beschriebenen Hitzeinsel (der zubetonierte Wangari Maathei-Platz – was für ein Hohn für die Namensgeberin! – wird grad umgegraben) sei’s gedankt?
Die schöne Decke ist sozusagen schon festgezurrt. Und was sich darunter an Bewohner:innen ansammelt, ist eigentlich egal.
Schaut man auf die Menschen in der Seestadt, so ist die tatsächlich divers: Nicht nur Zuwanderung ist erkennbar, sondern auch Armut wird immer wieder sichtbar.
Betrachtet man hingegen das Straßenbild, kommt schnell einmal der Gedanke an strukturelle Ausschlüsse auf: Was wird hier unsichtbar gemacht?
Ist das Rassismus? Klassismus? Von allem wohl etwas, nur nix von Partizipation….
Was bedeutet nun diese rigide Top-down-Stadtentwicklung für uns Alte in der Seestadt, die wir mit zunehmendem Betreuungs- und Pflegebedarf rechnen? Bisher haben manche Baugrupppen eine Kleinwohnung für eine Pflegeperson eingeplant. Abgesehen von der vielfältigen Kritik an Modellen wie 24-Stunden-Pflege ist dies offenbar ein Auslaufmodell (Kai Leichsenring). Ich frage mich, ob die konzernabhängige Planung Platz lassen wird für innovative Modelle?
In manchen Aspekten schließe ich mich der euphorischen Preisung der Seestadt an: Es gibt durchaus interessante Gestaltungsaspekte und auch für mich ist es ein Quartier mit Urlaubsflair: Ja, ich genieße den Balkon mit Seeblick!
Dass ich aktuell windgeschützt in das nicht mehr verschließbare Haus komme, genieße ich auch.
Dazu erhielten wir folgenden Kommentar zur Seestadt von Lisl Hedrich