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Die alltägliche Verantwortung und ihre Folgen … Spots auf den Frauengesundheitsbericht

von Hilde Grammel (ZVPÖ)

Nach über zehn Jahren legte das Gesundheitsministerium 2022 wieder einen Frauengesundheitsbericht vor. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass Gesundheitsforschung und versorgung mittlerweile anerkennen, dass die Lebensrealitäten von Frauen spezifische gesundheitliche Themen zur Folge haben. Obwohl nicht als eigene Kategorie behandelt, findet die gesundheitliche Situation von Frauen im Pensionsalter vereinzelt Erwähnung. Im Folgenden einige Schlaglichter:

Zur Statistik

Von ihren im Durchschnitt 84 Lebensjahren verbringen Frauen rund 20 Jahre bei mittelmäßiger bis schlechter Gesundheit. Während der Familiengründungs- und -versorgungsjahre leben sie zumeist in Partnerschaften, ab ihrem 60. Lebensjahr geht die Lebensform in einer Partnerschaft jedoch stark zurück, rund ein Drittel lebt im Alter zwischen 60 und 79 Jahren allein, ab dem 80. Lebensjahr ist es mehr als die Hälfte. Künftige Forschung könnte sich dafür interessieren, warum dies so ist, ob ältere Frauen freiwillig alleine leben und, wenn ja, warum und Alternativen aufzeigen.

Nicht neu ist, dass geringe Einkommen und unbezahlte Sorgearbeit von Frauen sich auf ihre Pensionshöhe auswirken. In Österreich liegt eine große geschlechtsspezifische Pensionslücke (Pension Pay Gap) von über 40 Prozent vor. Frauen erhalten pro Monat im Durchschnitt €900 und pro Jahr über €10.000 weniger Pension als Männer.

Unbekannte im Pensionssystem: Care-Arbeit und Mental Load

In diesem Kontext erwähnenswert ist der im Gesundheitsbericht verwendete Begriff der Mental Load (der geistigen oder mentalen Belastung), der von der klassischen Care-Arbeit unterschieden wird. Er meint in etwa die Last der alltäglichen unsichtbaren Verantwortung für das Organisieren von Haushalt und Familie im Privaten, das Koordinieren und Vermitteln in Teams im beruflichen Kontext sowie die Beziehungspflege und das Auffangen der Bedürfnisse und Befindlichkeiten aller Beteiligten in beiden Bereichen. Anhand des folgenden Beispiels sei der Begriff erläutert: Wer ein Enkelkind zum Arzt bringt, übernimmt Care-Arbeit und hilft mit. Die Mental Load trägt aber die Person, die darüber hinaus die Ärztin und ihre Adresse recherchiert hat, die an den Termin erinnert, ihn vereinbart hat, ohne dass er mit anderen Verabredungen kollidiert, die weiß, dass die Schule über das Fernblieben des Kindes verständigt und am nächsten Tag eine Entschuldigung gebracht werden muss etc. Sowohl Care-Arbeit als auch Mental Load spielen aber für die im Pensionssystem angerechneten Leistungen keine Rolle.

Altersarmut

Aus dieser Blindheit des Pensionssystems gegenüber Frauenarbeit resultiert die allseits beklagte weibliche Altersarmut. Armut hat grundsätzlich Auswirkungen auf den Gesundheitszustand: In Armut lebende Menschen sind doppelt so häufig krank wie Menschen, die nicht in Armut leben, leiden häufiger unter Stress, Bluthochdruck, Herzproblemen, Schlafstörungen etc. und sie sind häufiger einsam, weil sie sich viele Freizeitaktivitäten nicht leisten können. Hier bestünde die Herausforderung darin, Pensionistinnen soziale Teilhabe zu ermöglichen, Orte des Zusammenkommens und kostenfreie Mobilitätsangebote zu schaffen.

Freiheitsbeschränkungen und Gewalt

Ältere und alte Frauen sind besonders häufig von freiheitbeschränkenden Maßnahmen in Pflegeheimen betroffen, da sie dort stärker vertreten sind als Männer. Mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen zur Freiheitsbeschränkung stellen aber Gewaltakte dar. Ältere und alte Frauen wiederum, die in keiner institutionellen Betreuung sind, leben oft aufgrund von Altersarmut in starker finanzieller Abhängigkeit, was ebenfalls das Risiko von Gewalt erhöht. Ein Gewaltmonitoring mit Fokus speziell auf ältere Frauen wäre deshalb angebracht.

Medizinische Überversorgung

In manchen Bereichen des Gesundheitssystems gibt es das Phänomen das „Überversorgung“, so etwa im gynäkologischen. In Österreich werden täglich 30 Gebärmutterentfernungen durchgeführt, ca. 10.000 pro Jahr. Mit zunehmendem Alter steigt für Frauen das Risiko, schneller Gebärmutterentfernungen bei gutartigen Erkrankungen durchführen zu lassen, wobei Frauen mit niedrigem Bildungsniveau und Einkommen überproportional betroffen sind. Bemerkenswert ist, dass bei nur 11 Prozent dieser Eingriffe ein bösartiger Tumor zugrunde liegt. Bisher fehlen genaue Studien zu Ursachen und Folgen dieser Praxis.

Der Frauengesundheitsbericht macht jedenfalls deutlich, dass bei der Erforschung der Gesundheits- und Lebenssituation von Pensionistinnen noch viel Luft nach oben ist.