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2020

Nachdenken über ein seltsames Jahr

Pürbach, 1.Jänner 2021

Elisabeth Eckhart

Es ist der 1. Jänner 2021. Dieses seltsame, leidvolle, aufregende und stille Jahr noch keine 24 Stunden vorbei. 24 Stunden reichen niemals für eine abschließende Erkenntnis.Aber es blitzt viel auf im Nachdenken über dieses Jahr. Viel mehr als sonst.

Ein Kaleidoskop, das Dystopisches und Utopisches gleichermaßen zeigt, je nachdem wie man hineinschaut. Es bleibt hoch ambivalent, wir wissen nicht wo es hingeht, das Leben führt ein Eigenleben, Planung und getaktete Zeit scheinen überflüssig. Es fühlt sich verwirrend aber keinesfalls ratlos an. Nix ist fix, das Glas ist gleichermaßen halb voll wie halb leer. Das gilt’s zunächst mal auszuhalten.

Sprung zrück ins Jahr 2019. Ich weiß noch sehr gut, dass ich im Herbst, nach dem Rücktritt der Regierung aufgrund des Ibizavideos, morgens bei strahlendem Sonnenschein aufgewacht bin und mir gedacht habe: „Ab heute ist der Kickl nicht mehr Innenminister.“ Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Alpdruck kann man manchmal auch erst im Nachhinein spüren und benennen.

Wie oft aber habe ich mir in diesem Jahr 2020 gedacht, wie unaushaltbar vieles davor war – und wie gut , dass wir endlich darüber reden. Eigentlich habe ich erst in diesem Jahr begriffen, wie dystopisch sich vieles davor angefühlt hat.

Das Coronavirus zeigt Symptome:

Großschlachthöfe und Billigfleisch sind keine Lösung zur Ernährung der Weltbevölkerung,

Vielfliegerei ist schädlich, nicht nur für den Menschen sondern den ganzen Planeten.

Eine Zivilisation, die alle möglichen Zivilisationskrankheiten hervor bringt, schwächt sich selbst.

Mehr Sterne und Vögel sehen und das in einer besseren Luft, tut uns gut, Großraumbüros und volle Kalender tun uns nicht gut.

Überfüllte Klassen tun den Kindern nicht gut.

Die Unterbringung von SaisonarbeiterInnen in schimmligen, dreckigen Unterkünften macht nicht nur sie sondern jetzt auch alle krank.

Ohne eine gute staatliche Infrastruktur, das wissen wir jetzt, wird Überleben deutlich schwieriger, sogar für Reiche, ohne Pflegekräfte und Supermarktkassierinnen sind wir sowieso aufgeschmissen.

Kreuzfahrtschiffe werden zu Hochrisikogebieten, was sie, betreffend ihrer verheerenden Klimaschädlichkeiten eh immer schon waren, nur wollte es niemand sehen/sagen.

Die Regulierung von Nähe und Distanz haben sich viele vielleicht schon lange gewünscht, die vielen Bussis, mehr als inflationär verwendet, sind jetzt abgeschafft.

Die Bildungskrise schreit zum Himmel. Homeschooling hat viele Kinder abgehängt und ausgeschlossen. Aber war das vorher anders? Was passiert, wenn Schule, vorher von vielen als Quälerei empfunden, plötzlich zum Sehnsuchtsort wird, ein Ort wo Struktur und Gemeinschaft Sicherheit gibt?

Wie schnell alles gegangen ist, fast haben wir (reichen Länder) durch die Hintertür sogar das Grundeinkommen eingeführt.

Diesen (noch lange nicht vollständigen) Erkenntnissen vorausgegangen ist im März zunächst einmal eine plötzliche Stille.

In dieser Stille spürten wir die Angst und die Peosie gleichermaßen. Es fuhren keine Autos mehr, und keine Flugzeuge waren am Himmel. Der Gesang der Vögel war plötzlich wieder zu hören. Das Virus hat der Natur nicht geschadet, es schadet dem Menschen, der zu Hause bleiben muss.

Der Dichter Marc Lambron meint:“ Wenn Menschen sich bedroht fühlen, setzen sie andere Prioritäten. Vielleicht ist Corona der Feind der Lüge. Und die Erlösung vom Individualismus.“*

Wir wissen nicht, wie das ausgehen wird. Ob wir schnell vergessen, schnell zurückkehren zu unserer abnormalen Normalität oder ob wir ein wenig solidarischer, einsichtiger und bescheidener geworden sind.

Im Moment ist alles offen, aber auch sehr anfällig für große Träume.

* Aus dem wunderbaren Film der arte mediathek: „Welt auf Abstand. Reise durch ein besonderes Jahr.“